Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich für immer verändert. COVID-19 hat viele Menschenleben gekostet und die Weltwirtschaft in große Turbulenzen gestürzt. Wir nähern uns mittlerweile weltweit 500.000 Toten und sehen uns einer Prognose von McKinsey zufolge bis 2023 einem globalen Defizit von 30 Billionen Dollar gegenüber.
Auch die Auswirkungen auf die Versorgungskette und die Logistik sind beträchtlich. Den Unternehmen – insbesondere denjenigen, die während des Höhepunktes der Pandemie lebenswichtige Güter produzierten und verteilten – boten die letzten Monate eine schmerzhafte Lektion: Sie mussten die Mängel in ihrer Lieferkette erkennen.
Daneben hat sich jedoch noch etwas anderes herauskristallisiert: Optimismus in Bezug auf Innovationen und die Möglichkeit, diese Innovationen zu nutzen, um neue Prozesse zu erfinden. Es bedurfte einer Pandemie, um eine weitere industrielle Revolution anzustoßen, die dadurch bestimmt wird, wie sich die Länder an eine neue Ära des Handels anpassen.
Dies ist der erste Blog meiner Serie, in der ich die Herausforderungen, Risiken, Chancen und Lösungen untersuchen werde, die voraussichtlich den globalen Handel vorantreiben und die Industrie auf ein höheres Level in der Standardisierung und Flexibilisierung bringen werden – mit dem Ziel, sich in Zukunft gegen ein weiteres unerwartetes, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretendes katastrophales globales Ereignis zu wappnen.
COVID-19: Ein Katalysator für Innovation?
Handel und Logistik gehören zu den ältesten Industriezweigen der Welt. Sie gehen auf das Jahr 3000 v. Chr. zurück, als die Völker Mesopotamiens und Ägyptens begannen, mit Luxusgütern, Edelmetallen und Getreide zu handeln. Seitdem hat sich der Handel durch Erfindungen und globale politische und wirtschaftliche Veränderungen immer wieder selbst revolutioniert – etwa durch die Erfindung des Rades oder des Frachtcontainers. Auch die Industrialisierung des Westens und in jüngerer Zeit das NAFTA-Abkommen waren bedeutende Schritte.
Die Verabschiedung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1994 führte zur Beseitigung oder Reduzierung vieler Handelsschranken und förderte den weltweiten Handel. Dieser 26 Jahre alte Status quo wird nun infrage gestellt, da in der Welt nach der COVID-19-Pandemie und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Abschwung nichts mehr so ist, wie es war. Die Industrie steht vor einer weiteren gewaltigen Verschiebung.
COVID-19 hat die Anfälligkeit der Versorgungskette offengelegt – leider ging es hierbei auch um Leben und Tod. Der Gesundheitssektor stand vor besonders großen Problemen. Produktion und Vertrieb von Masken und Beatmungsgeräten konnten die weltweite Nachfrage nicht decken. Zu den Ergebnissen der Pandemie, so das Weltwirtschaftsforum, gehört die voraussichtliche Abkehr von der Abhängigkeit von China bei der Herstellung vor allem solch kritischer Waren.
Der Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) stellt fest, dass die Logistiker noch beweglicher werden müssen, wenn sie den Aufschwung in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 und bis ins Jahr 2021 steuern wollen. Sie werden sich voraussichtlich anpassen, verändern und überwinden müssen. Lieferketten sind als Folge von COVID-19 empfindlich gestört worden. Da sie von Natur aus komplex sind, können sie leicht unterbrochen werden. Ohne die richtigen Technologien wird es schwierig, die Supply Chain an die sich schnell verändernde COVID-19- und Post-COVID-19-Welt anzupassen.
Beginn einer neuen Morgendämmerung
Die Prozesse in der Supply Chain sind reif für den digitalen Umbruch. Tatsächlich haben viele Unternehmen diesen Weg bereits eingeschlagen. Laut Gartner wird die Hälfte der großen Unternehmen bis 2023 künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) und fortschrittliche Analysetechnologie in ihren Lieferketten einsetzen. „Technologie wird der Schlüssel zur Bewältigung dieser schwierigen Situation sein als auch die Supply Chains wieder in Schwung bringen, sobald die Wirtschaft wieder „normal“ funktioniert – was auch immer dann als normal gilt“, schrieb das Magazin Connected World, als es die Herausforderungen untersuchte, vor denen die Konsumgüterindustrie bei der Lieferkette in den frühen Tagen von COVID-19 stand. Dazu gehört zum Beispiel, dass Grundbedürfnisse der Konsumenten nicht erfüllt werden konnten. Waren wie Toilettenpapier und andere Papierprodukte etwa waren nicht vorrätig.
Der treibende Faktor für den digitalen Umbruch wird die Symbiose von Hard- und Software sein. Eine stärkere Nutzung von Software und Hardware zur Automatisierung wird zur Verringerung der Vorlaufzeiten und Produktionskosten, zur Erhöhung der Flexibilität und zur Senkung der Lagerkosten führen. Die Einführung von Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration und Diagnose der Systeme und die kognitiven Systeme (künstliche Intelligenz), die verstehen, wie man die Mitarbeiter und die Lieferkette unterstützt, werden laut Ryan Ziegler, einem Partner von Edison Partners, eine bessere Interoperabilität (Zusammenarbeit der Systeme), Datentransparenz und End-to-End-Sichtbarkeit bewirken.
In einem sich stark verändernden Markt sind neue Technologien in der Lage, gleich- bzw. rechtzeitig Produktion, Logistik und Lieferkette zu verändern, was auch bei Investoren zu großer Aufmerksamkeit führt. In einem Gespräch äußerte sich Julius Rüßmann von Earlybird Venture Capital optimistisch zum Wachstum des Supply-Chain-Software-Marktes. Diese Technologien würden eine „fundamentale Veränderung“ in unserer Interaktion mit Beschaffungsstrategien und dem Supply-Chain-Management bewirken.
Der Bedarf an menschlichen Arbeitskräften wird hoch bleiben, auch wenn solche grundlegenden Veränderungen zunächst vielleicht bei vielen die Alarmglocken läuten lassen. Technologie wird die menschliche Arbeitskraft ergänzen und den Arbeitnehmern eine höhere Produktivität und die Konzentration auf wesentliche Aufgaben ermöglichen, die die Automatisierung nicht bewältigen kann. Das Fachwissen der Arbeitskräfte in der Lieferkette wird sich weiterentwickeln, doch die Beschäftigten werden nicht verschwinden. Tatsächlich zeigen die Daten von Gartner, dass 30 Prozent der Lagerarbeiter bis 2023 durch Roboter ergänzt – nicht ersetzt – werden.
Die vor uns liegenden Chancen nutzen
Manchmal bekommt man das Gefühl, dass sich in der Logistik seit den 1980er Jahren nicht viel verändert hat. Der Warenversand von A nach B ist nach wie vor ein stark manueller Prozess, der stundenlange Handarbeit für jede Sendung, Dutzende von E-Mails und die Kommunikation mit mehr als 30 Beteiligten erfordert.
Der große Anteil manueller Tätigkeiten in dieser Branche lässt den Kunden wenig Transparenz über Preise, den aktuellen Status ihrer Waren oder auch nur über die geschätzte Ankunftszeit. Die Zuverlässigkeit, z. B. die Pünktlichkeit der Sendungen und die Genauigkeit der Ankunftszeit, ist unterdurchschnittlich, ebenso wie der Umfang der Kommunikation zwischen einem Logistikunternehmen und einem Kunden.
Die, die wie wir, im Supply-Chain-Ökosystem tätig sind, erhalten jetzt die Gelegenheit, die Logistik für die Industrieunternehmen neu zu regeln, damit diese sich auf die Herstellung und Schaffung großartiger Produkte konzentrieren können. In der Welt nach COVID-19 werden voraussichtlich drei Grundsätze die Zukunft des Supply-Chain-Managements diktieren. Im nächsten Beitrag wird es um Transparenz, Agilität und Automatisierung gehen und darum, wie die Vereinheitlichung dieser drei Grundsätze den Erfolg der Lieferkette und die Innovation in der veränderten Welt vorantreiben wird.